Das Gründerteam von IRUBIS: (v.l.n.r.) Lorenz Sykora, Anja Müller und Alexander Geißler.

Das Gründerteam von IRUBIS: (v.l.n.r.) Lorenz Sykora, Anja Müller und Alexander Geißler (© Astrid Eckert)

IRUBIS: Kontinuierliche Überwachung von Prozessen in der Biopharmazie

Aufgeben, wenn die ursprüngliche Geschäftsidee nicht fliegt? 2017 hat Anja Müller mit ihren Kollegen Alexander Geißler und Lorenz Sykora IRUBIS gegründet. Die Vision damals: die Entwicklung eines Blutschnelltests für die Detektion von Krankheiten wie Krebs oder Malaria. Heute sind Ziel und Geschäftsmodell ein anderes. Mit uns spricht Anja über den Wechsel ihrer Strategie, die Herausforderungen in der Entwicklung von Hardwarelösungen und ihren Gewinn der begehrten EU-Förderung Horizon 2020.

Anja, du bist Gründerin von IRUBIS (Externer Link) . Was macht ihr, und was macht eure Lösung besonders?

Wir haben ein Messsystem speziell für die Überwachung und Steuerung von Bioprozessen entwickelt. „Monipa“ kann mehrere Bioprozesse gleichzeitig und kontinuierlich überwachen. Bisher läuft hier in der Biopharmazie noch viel manuell. Unsere Lösung – ein Infrarotspektrometer-System mit Einweg-Messzelle und die dazugehörige Software – kann die Messung von Glukose oder Laktat automatisieren und den Glukosegehalt regulieren. Das wird benötigt für die Entwicklung von Wirkstoffen. Weitere mögliche Anwendungen sind unter anderem die Überwachung von Nährstoffkonzentration, das Erkennen von Rückständen und Verunreinigungen in Proben oder die Überwachung von Proteinen und Hilfsstoffen bei Bioprozessen. Ein großer Vorteil unserer Technologie liegt in der einfachen Integration unserer Hardware in bestehende Prozesse unserer Kunden. Durch unsere Einwegmesszelle können zudem Kontaminationen in Laboren vermieden werden.

Wie kam es zu der Idee?

2016 habe ich mit meinen Mitgründern Alex und Lorenz an der TU München angefangen im Bereich der Halbleitertechnologie und Infrarotspektroskopie zu arbeiten. Wir wurden damals durch das EXIST Gründerstipendium gefördert: Ziel war, ein Infrarotsensorelement für die ATR-Infrarotspektroskopie zu entwickeln, das 100mal günstiger ist als bestehende Lösungen. ATR-Infrarotspektroskopie ist eine Messtechnik für die qualitative und quantitative Untersuchung von flüssigen und festen Proben. Das haben wir geschafft. Mit unserem „ATR Kristall“ hatten wir nun eine Lösung, aber noch keinen Anwendungsfall.

Wie seid ihr an die Validierung eurer Idee herangegangen?

Wir haben über wissenschaftliche Publikationen nach passenden Anwendungen gesucht. Neben der technologischen Entwicklung haben wir eine breite Marktrecherche durchgeführt, um herauszufinden in welcher Branche ein kostengünstiger ATR Kristall einen großen Vorteil bietet. Wir sind damals auf viele Publikationen im Bereich Blutanalyse gestoßen. Damit haben wir die Vision für einen Blut-Schnelltest entwickelt. Dann wollten wir über ein „Proof-of-Concept“ zeigen, was unsere Technologie kann und dass wir die Idee auch umsetzen können. Das würde ich heute anders machen.

„Der Weg in die Blutanalyse ist ein sehr schwieriger“

Ihr habt dann aber einen neuen Weg eingeschlagen – wie kam es zu eurem Pivot?

Mit der Idee der Blutanalyse hatten wir uns für den Medical Valley Award beworben und ihn auch gewonnen. Nach dem Award haben wir dann aber festgestellt, dass der geschäftliche Einstieg in das Marktsegment extrem schwierig ist, der regulatorische Aufwand bei der Zulassung eines solchen Medizinproduktes ist wirklich sehr hoch. Gefehlt haben zudem ein klarer Kundennutzen und damit auch potenzielle Abnehmer und Kunden für die Lösung.

Die Geschäftsidee trägt nicht – warum habt ihr dann weitergemacht?

Der Award-Gewinn hat uns nicht nur Erkenntnisse im Bereich Infrarotspektroskopie verschafft, sondern uns auch plötzlich Aufmerksamkeit in der Branche beschert. Zwei Experten aus dem Bioprozesstechnikbereich sind auf uns aufmerksam geworden und haben für unsere Lösung einen konkreten Anwendungsfall vorgeschlagen: die Überwachung von Bioreaktoren. Das sind Behälter, in denen bestimmte Mikroorganismen oder Zellen unter optimalen Bedingungen kultiviert werden. Daraufhin sind wir nochmals in die Markt- und Konkurrenzrecherche eingestiegen und haben einen konkreten Testballon gestartet. Das Ergebnis: in diesem Bereich gibt es ein Problem, dass wir mit unserer Technologie lösen können, einen klaren Bedarf und Kunden in der Industrie!

Was ist bei der Suche nach einem Markt für eine Lösung besonders wichtig?

Um ein erfolgreiches Unternehmen aufzubauen ist es wichtig zu verstehen, welches Problem den Kunden nachts nicht schlafen lässt. Heute würde ich schon vor der Entwicklung zum Telefonhörer greifen und mit der Zielgruppe in der Industrie sprechen und ausprobieren, ob hier das Interesse über Höflichkeit und Neugier hinausgeht. Als Gründer und Gründerin muss man verstehen, was technologisch überhaupt erreicht werden muss, um ein Problem zu lösen und ob es eine genügend große Anzahl an Kunden gibt die bereit sind, Geld dafür zu zahlen. Ein inspirierendes Beispiel ist Dropbox, die über Nacht 75.000 Interessenten gewonnen haben, mit nur einem Erklärvideo (Externer Link) und ohne fertiges Produkt.

„Der wichtigste Schritt war zu sehen, ob Kunden unsere Lösung überhaupt wollen“

Wie geht ihr jetzt daran, den Markt zu erobern – was sind die wichtigsten Schritte?

Marktseitig war der wichtigste Schritt zu sehen, ob Kunden unsere adaptierte Lösung überhaupt wollten. Mit Pilotkunden haben wir unseren Prototypen dann erfolgreich getestet! Bis Herbst diesen Jahres wollen wir eine Kleinserie entwickeln und auf den Markt bringen. Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Finanzierung, denn die Hardwareentwicklung kostet viel Geld.

Wir hatten das Glück zu den Gewinnern von H2020 – EIC Accelerator Pilot zu gehören. Die EU-Förderung H2020 (Externer Link) , EIC Accelerator Pilot ist ein Pilotprojekt für das Förderprojekt Horizon Europe (2021-2027). Das Besondere daran ist, dass es bewusst Einzelvorhaben bzw. Startups fördert anstatt Konsortien. Zudem fördert der Grant den letzten Entwicklungsschritt bis zur Marktreife, das ist schon etwas Besonderes. Darüber hinaus können Kommerzialisierungstätigkeiten über ein Wandeldarlehen oder Equity des EIC Funds finanziert werden. Wir haben zudem eine kleine Wandeldarlehensrunde mit Business Angels gemacht.

Worauf sollten andere Gründer achten, die sich mit dem Thema Förderung beschäftigen?

Venture Capital Investoren wollen skalieren – wir haben die Erfahrung gemacht, dass sie erst dann investieren, wenn das Produkt bereits zertifiziert und am Markt ist. Die Förderprojekte geben uns die Ressourcen und Zeit, unsere Technologie zu entwickeln. Gerade bei zeit- und kostenintensiver Hardwareentwicklung ist das extrem wichtig. Für manche Förderprogramme darf das Unternehmen noch nicht gegründet sein, selbst wenn man noch keine Umsätze macht. Bei dem EXIST Gründerstipendium ist ein diverses Team mit kaufmännischem und technologischem Bildungshintergrund ausdrücklich gewünscht. Bei anderen Entwicklungsförderungen können wiederum Personen mit kaufmännischem Bildungshintergrund nicht finanziert werden. Auch die Zeiträume zwischen Zusage und Förderbeginn können sehr lang sein, vor allem wenn man Vollzeit für die Idee arbeitet und die Zeit dazwischen finanziell selbst überbrücken muss.

Bisher genutzte Förder- und Finanzierungsprogramme: